Einen besonderen Platz unter allen Traditionen nehmen die spanischen Osterprozessionen während der Semana Santa, der Karwoche, ein. Insbesondere die andalusische Semana Santa ist zu Recht weltberühmt. Alles ist auf den Beinen! Die Darstellung des Leidensweg Christi ist ein ergreifendes, sehr katholisches, aber auch volksfestartiges, lebensbejahendes Spektakel, das jedes Jahr viele Touristen anzieht.
Die Semana Santa in Spanien hat eine lange Tradition, die bis in die Zeit der Reconquista zurückreicht. Schon im Mittelalter waren es Laienbruderschaften, die auf die Idee kamen, die Christusstatuen der Kirchen als Buße auf ihren Rücken durch die Straßen zu tragen. Später, nach der „Rückeroberung“, sah dann auch die Kirche das große Potenzial, das in dieser Form der Religiosität steckte. Schließlich war der Gottesdienst für die Menschen in jener Zeit sehr abstrakt (da auf Latein) und eine Prozession sehr viel ansprechender für das religiöse Empfinden des Volkes. Das Erbe der Mauren, z.B.die Architektur, war außerdem immer noch präsent und so wollte man den katholischen Glauben stärken: Maler und Bildhauer wurden beauftragt und die Prozessionen wurden mit der Zeit immer reicher geschmückt und mit Musik untermalt, bis das beeindruckende Spektakel entstanden ist, das wir heute kennen.
Hauptrolle spielen die pasos: organisiert und durchgeführt werden sie von Bruderschaften (auf Spanisch hermandades oder cofradías). Alleine in Sevilla gibt es über 50 verschiedene hermandades. Durch die Straßen getragen werden die bis zu 2 Tonnen schweren pasos von den costaleros. Das sind tischartige Gestelle für die riesigen Heiligenfiguren. Die Vorbereitungen für die Karwoche nehmen viel Zeit in Anspruch, denn die costaleros üben bereits vorher das Halten der pasos und der Heiligenfiguren.
Eine Menschenmenge erwartet dann die Prozession vor den Kirchentoren, welche zu einer festgelegten Uhrzeit geöffnet werden. Aufbrandender Jubel begleitet das Leitkreuz, dann die Heiligenfiguren und deren Träger. Zum Schluss folgt eine Musikkapelle, welche die Zeremonie begleitet. Angeführt wird die Prozession von einer Person, die durch Klopfzeichen und Anweisungen durch die oft sehr verwinkelten Gassen führt. Alles riecht nach Weihrauch, und die Straßen sind mit Wachs bedeckt.
Begleitet werden sie von den Büßern (nazarenos und penitentes), die, mit Tunika bekleidet, vor allem durch ihre Spitzhauben auffallen.Viele Touristen erschrecken beim Anblick der Kapuzen, der capirotes, die viele vom rassistischen amerikanischen Geheimbund des Ku Klux Klan kennen, die jedoch nichts mit der Semana Santa zu tun haben. Ihren Ursprung haben die Kapuzen in der spanischen Inquisition. Menschen, die vom Inquisitionsgericht verurteilt wurden, wurden mit der Verhängung dieses Pappkegels bestraft. Außerdem wurde ein Stoffkleidungsstück über den Kopf gelegt, um Brust und Rücken zu bedecken. Dieses Kleidungsstück wurde sambenito genannt. Der Ausdruck “jemandem den sambenito anhängen” stammt von hier, da er sich auf eine Verurteilung bezieht. Seit Ende des 15. Jahrhunderts haben viele Gemälde diese Handlungen der Inquisition in ihren Werken dargestellt (u.a. Goya).
Die Büßer, dienazarenos, verteilen caramelos an die Kinder. Nazareno, dame un caramelo!
Am Viernes Santo, am Karfreitag, sieht man die „schwarzen Witwen“, Damen, sehr elegant komplett in schwarz gekleidet mit großem Haarkamm und Spitzenschleier. Die Auswahl der peinetas und mantillas in den Geschäften ist groß!
Ein Höhepunkt einer Prozession ist zweifelsohne der Klang einer Saeta, die spontan beim Vorbeiziehen eines pasos von einem Balkon aus gesungen wird und alle innehalten lässt. Ein wunderbar ergreifender Moment.